Heute ist es erschienen: „The latest studio album from the legendary progressive rock band yes.“ So wird es jedenfalls auf dem Aufkleber meiner Vinyl-Standard-Ausgabe beworben.
Beginnt noch alles relativ vertraut und „traut“ man insofern dem Opener „The Ice Bridge“ der mit genretypischen Klängen frohlockt, so nimmt der Anteil an klassischen Prog-Elementen kontinuierlich ab, umso weiter das Album fortschreitet.
Ist das denn noch Progrock oder kann das wech? Der oben beschriebene Prozess ist sogar so evident, dass ich den Künstlern hier die volle Absicht unterstellen möchte, Regressiv Rock (!) zu vollziehen. So fühle ich mich bei den letzten beiden Songs „Mystery Tour“ und „Damaged World“ unweigerlich an den 90er Jahre Britpop á la Lightning Seeds zurückerinnert.
Wer aber hier eine weitere Genreflucht hin zum AOR, wie bei Progbands üblich, vermutet, liegt falsch. Ich mag außergewöhnliche und zunächst irritierende Ideen, wenn ich mir neue Musik anhöre. Und dieses Album hat mich merklich überrascht. Es ist etwas völlig anderes bei raus gekommen als ich beim Kauf erwartet hatte. Die Musik klingt selten langweilig oder einfallslos. Auch ist der klassische Yes-Sound, wenn auch zwischen den Zeilen und zuweilen mit der Lupe zu suchen (siehe Titel dieser Rezension), erhalten geblieben. Hier ist z.B. das Genretypische „Leave Me Alone“ zu nennen, der längste Song des Albums und vielleicht auch der Beste. Auch ruhige gefällige Klänge lassen sich finden, wie z.B. die verträumte Ballade „Future Memories“. Mit dem deutlich reduzierten Anteil an Gitarensoli auf „The Quest“ kann ich leben. Was mir allerdings überhaupt nicht gefällt ist, dass der Gesang durchgehend elektronisch verzehrt dargeboten wird. Ich weiß nicht, ob es dem Zeitgeist entsprechend aktueller Popmusik geschuldet ist. Aber sogar unprätentiös klingende und auftretende Bands und Musiker wie Lambchop und Neil Young haben sich zuletzt diesem Stilmittel bedient. Also wenn das jetzt progressiv sein soll?!? Mein Ding ist es nicht.
Besonders originell finde ich, dass beim Song „Dare To Know“ der seinerzeit von den Bandmitgliedern verteufelte Symphonic Rock („Time and a Word“) eine Renaissance erlebt und zwar in einer solch unwiderstehlich-übertrieben-triefenden Schnulzigkeit, dass die Selbstironie nicht mehr zu überhören ist. Einfach großartig die Idee.
Zu der Qualität des Tonträgers: Die Pressung der beiden LP‘s ist anstandslos. Es ist kein Knistern oder knacken zu hören. Ein 16-seitiges Booklet mit Songtexten und Fotos der Bandmitglieder liegt bei. Als Bonus sind 2 CD‘s die ebenfalls das Album enthalten beigelegt, wobei ich mich frage, ob man das heute im Streaming-Zeitalter noch wirklich braucht. Schaden tut es aber schließlich auch nichts.
Empfehlen möchte ich dieses Album niemandem, der Yes zum ersten Mal hören will. Da verweise ich auf die Klassiker der Band. Wer aber Musik liebt und sich beim Hören ein wenig Zeit gibt, bekommt mit „The Quest“ ein Doppel-Album, an dem es noch lange Zeit etwas Neues zu entdecken geben wird.